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Opferbegriff
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Österreichische Remigration aus der Sowjetunion
Anmerkungen zum Opferbegriff
Ab 1990 wurden verschiedene Arbeiten zum Thema „Österreicher in der Sowjetunion“ publiziert. Ein Aspekt betraf dabei kursorische Aussagen zum quantitativen Ausmaß der österreichischen „Opfer des Stalinismus“. Diese Aussagen betonten immer, dass man davon ausgehen müsse, dass die Opferzahlen wesentlich größer sind, als die, die man z.Z. konkret belegen, oder aus den Auflistungen ablesen kann.
Doch bei allen hier agierenden Autoren zeigt sich, dass der von ihnen verwendete Opferbegriff sich von dem unterscheidet, der seit 1945 in Österreich für die Opfer des „Nationalsozialismus“ allgemein Verwendung gefunden hat. Er wird umfassend verstanden, schließt nicht nur „ums Leben Gekommene“ ein, sondern auch Personen die inhaftiert waren oder jene ÖsterreicherInnen, die in diesem Zeitraum aus der Sowjetunion ausgewiesen wurden.
Diese vom allgemein üblichen abweichende Verwendung eines „erweiterten“ Opferbegriffs wird als selbstverständlich angenommen, es wird auch nicht auf diesen Unterschied aufmerksam gemacht, schon gar nicht wird er begründet. Das führte dazu, dass bei einer Vielzahl der mit der Materie wenig vertrauten LeserInnen die dabei kolportierten (vielfach geschätzten und vermuteten) Opferzahlen als die Zahl der ums Leben gekommenen Menschen verstanden werden. Dieses „Missverständnis“ aufzuklären liegt offenbar nicht im Interesse derer, die damit manipulieren – im Gegenteil.
Die Opferzahlen waren ein „gewichtiger“ Bestandteil in der „Aufarbeitungsdiskussion“ innerhalb der KPÖ seit 1991 und wurden politisch instrumentalisiert. Man konnte lesen: „Wenn wir als revolutionäre Partei Zukunft haben wollen, dann brauchen wir ein Verhältnis zur Tatsache, dass auch 400 österreichische Kommunisten und Schutzbündler im Sowjetexil zu Tode gekommen sind.“
Das Zitat zeigt, wie berechtigt seinerzeit ein kritischer Hinweis auf diesen „ausgeweiteten“ Opfer-Begriff war, dessen sich die Autoren von posthum rehabilitiert bedienten, ohne ihn auch nur ansatzweise zu definieren. Ab der ersten Zeile der Broschüre war von „Opfern“ die Rede, die das ganze Spektrum von denen, die sofort nach der Urteilsverkündung erschossen wurden (das war eine Minderheit), bis zu jenen, die die Sowjetunion damals ausgewiesen hat (und die bildeten innerhalb dieser „Opfer“gruppe die überwiegende Mehrheit), einschloss.
Dass Rezipienten „Opfer“ und „Zu-Tode-Gekommene“ gleichsetzten, belegt deutlich, dass sie einen genau umrissenen Opferbegriff haben; der aber ist ein enger, d.h. auf die „zu Tode Gekommenen“ beschränkter und schließt die Überlebenden, ganz gleich ob mit oder ohne Haft, nicht ein. Seit 1945 wurde dieser Opferbegriff innerhalb der KPÖ so gebraucht und von jedem/jeder auch so verstanden. Die Opfer des Hitlerfaschismus waren und sind jene, die ihre Gegnerschaft zum Nazifaschismus mit dem Leben „bezahlten“ oder Opfer der NS-Rassenideologie wurden. Daher führte auch der daraus abgeleitete Schluss zur falschen Ansicht, dass es sich bei den von den Autoren in posthum rehabilitiert angesprochenen „400 Opfern“ um „Todesopfer“ handelt. Dieses (durchaus beabsichtigte) „Missverständnis“ dauert an, nicht zuletzt auch wegen des (politisch motivierten) „Bedürfnisses“, die in die Diskussion einbrachten Opferzahlen in die Höhe zu schrauben.
Wie sich das in den Medien widerspiegelt, soll an folgenden Beispielen gezeigt werden. So bemühte sich der ehemalige »AZ«-Redakteur Herbert Lackner in der Zeitschrift »profil« bei der Buchbesprechung von Aufbruch-Hoffnung-Endstation, dieses Bild einer unfassbaren Opferbilanz zu tradieren. „Rund 800 Österreicher (...) gerieten in die Fänge von Stalins Häschern. Nur 15 Prozent von ihnen überlebten den Gulag.“ Nach dieser dem Leser zugemuteten „Rechnung“ hieße das, dass 680 Schutzbündler ums Leben gekommen sind. Das ist natürlich blanker Unsinn. Und weil es, wie bereits erwähnt, in diesem Zusammenhang wenig auf Genauigkeit, Seriosität und überprüfbare Fakten ankommt, weil man so grenzenlos Falsches und Unbewiesenes behaupten kann – Hauptsache, es bedient das vorgefasste Bild der „stalinistischen“ Sowjetunion und des „stalinistischen Terrors“ –, wird noch hinzugefügt: „In den folgenden Jahren wurden 220 der 400 in der Sowjetunion Verbliebenen [gemeint sind wieder die Schutzbündler – w.w.] verhaftet. Kaum einer überlebte.“ In beiden Zitaten geht es um die Gruppe der Schutzbündler; wie man sieht, können sich die Schreiber solcher Ausführungen sicher sein, dass für die Leserschaft nicht einmal ein einfacher rechnerischer Plausibilitätsanspruch innerhalb eines Artikels erfüllt werden muss.
Wenig später konnte man in einem anderen Medium lesen: „Die Sowjetunion, die ihnen, den Faschismusflüchtlingen, Asyl bot. Die Sowjetunion, wo sie leiden und sterben sollten, im Gulag, in den Moskauer Folterkellern, als Opfer der stalinistischen Diktatur. Mehrere tausend Menschen dürften es gewesen sein. Das Schicksal von 600 haben die Historiker Hans Schafranek, Barry McLoughlin (...) rekonstruiert.“ Auch der seinerzeitige Parteivorsitzende der KPÖ, Walter Baier, kolportierte immer wieder diese falschen Zahlen, mit denen er seine bekannt „antistalinistische“ Politik mengenmäßig unterfüttern wollte. Bei seinem Abgang ließ er einen Interviewer dann noch wissen: „Man muss wissen, es sind dreihundert [österreichische – w.w.] Kommunisten und Kommunistinnen in den Gulags verschwunden.“
Zum 90. Jahrestag der Gründung der KPÖ mühte er sich nun, eine Geschichte der KPÖ aus seiner Sicht zu kompilieren. Damit der Jahrestag (Herbst 2008, zu dem das Buch geplant war) aber nicht ohne seine Interpretation verstreicht, wurde eine als „Essay“ bezeichnete Kurzfassung veröffentlicht, in der er eine veränderte Sichtweise seiner bislang wiederholten „Opfer“aussagen zu Papier brachte. Dabei fällt auf, dass er sich offensichtlich erstmals die Rehabilitationslisten in dem auch unter seinem Namen erschienenen Buch Stalin und wir genauer angesehen und die dort ausgewiesenen Opfer zusammengezählt hat. Und diese Listen weisen kaum vier Dutzend ums Leben gekommene Kommunisten auf. Dieser Widerspruch zu seinen bislang kolportierten Opferzahlen blieb ihm nicht verborgen, und so fühlt er sich bemüßigt, jene Rechenspielereien dem Leser darzubieten, wie man sie von einschlägigen Historikern her kennt. Seine Absicht ist es auch, mit einer möglichst hohen Opferzahl den „verbrecherischen Stalinismus“ zu belegen.
Eine in zweierlei Hinsicht interessante Darstellung, die auf dem aktuellen Wissensstand von Barry McLoughlin beruht, kann seiner „Projektbeschreibung“ der „Stalinopfer“ entnommen werden. Hier taucht eine – und das ist das erste Interessante – bislang (auch in seinen Arbeiten, wie dem Buch Österreicher im Exil Sowjetunion) nicht einmal in einer Fußnote erwähnte „Opfer“gruppe auf. Diese „Opfer“gruppe, deren Zahl viermal so hoch ist, wie die bislang in den verschiedensten Arbeiten dazu behandelte, ist jene, der in die Sowjetunion „aus Österreich vertriebenen Jüdinnen und Juden“. Mit ihnen kommt er auf eine Opferzahl von 2669. Die „Leidenswege der jüdischen Flüchtlinge“, meint der Autor, sei „nur in groben Umrissen bekannt“ und bedürfe noch umfangreicher Recherchen. Dass der bislang im Zentrum stehenden Personen- respektive „Opfer“gruppe nun plötzlich eine, diese um das Fünffache übersteigende Gruppe zugerechnet wird, erstaunt nicht wirklich.
Anders würde es sich, meint der Autor, bei den restlichen 20% verhalten. Diese Gruppe setzt sich aus den „politischen Emigranten (Schutzbündler, Schutzbundkinder, Kommunisten), Wirtschaftsemigranten (Facharbeiter und Ingenieure) aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise und ehemalige k.u.k. Armeeangehörigen, die im Ersten Weltkrieg gefangen genommen wurden und im bolschewistischen Russland blieben“ zusammen. Und also geht es hier um jene Gruppe, die bislang im Focus der „Stalinopfer“-Forscher stand und über die publiziert wurde. Von dieser Gruppe – McLoughlin hat nach bald 20jährigen Forschungen 532 „Opfer“ namentlich erfasst – hat er 441 „Schicksale festgestellt“. Aus seiner Auswertung geht dann hervor, dass von den 441 Personen 184 entweder erschossen oder auf andere Art ums Leben gekommen sind. Alle anderen haben entweder ihre Haft überlebt, oder sind auch nur aus der Sowjetunion ausgewiesen worden, wie ja aus der in dieser Arbeit vorgelegten Auswertung der BK sehr augenfällig hervorgeht. Diese 184 von McLoughlin ausgewiesenen Opfer sind der zweite interessante Aspekt, denn diese Zahl zeigt, in welchem tatsächlichen Zahlenbereich man sich, wenn man über die Opfern des „Stalinismus“ spricht, bewegt. Diese Zahl widerlegt nicht nur die von ihm selbst zuerst mit 400 und dann auf 600 hinauf „prognostizierte“ Opferzahl, sondern auch die Unsinnigkeit von Baiers Behauptung, dass man davon ausgehen müsse, dass in der Sowjetunion damals 250–300 KPÖ-Mitglieder ums Leben gekommen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Zahl von 184 nur zu einem Teil KommunistInnen beinhaltet.
Die hier vorliegende Arbeit soll ein wenig mehr Klarheit in die quantitativen Dimensionen der Rückwanderbewegung von ÖsterreicherInnen aus der Sowjetunion nach Österreich zu bringen. Das bislang dazu veröffentlichte Material zu dieser Remigration hatte eine äußerst schmale Basis, auf der aufbauend manch recht fragwürdige Aussagen und dubiose Behauptungen getroffen wurden.